Weshalb erklärt uns die Tora hier, was die Lehre nicht ist ("leeres Wort"), statt uns direkt zu sagen, was sie schon ist ("euer Leben")?
Raschi erklärt unter anderem, dass damit ausgedrückt wird, dass es kein leeres Wort in der Tora gibt, alles hat eine Bedeutung. Der Ba'al Haturim ergänzt, dass sogar aus den Punkten, die sich über manchen Buchstaben befinden, etwas gelernt werden kann. Der Talmud Jeruschalmi sagt, dass die Lehre allenfalls "von euch leer" ist.
Es gibt einen Midrasch, wonach die 600 000 Buchstaben in einem Sefer Tora für die 600 000 Juden stehen, die aus Ägypten auszogen und von denen das ganze Volk abstammt. Jedem ist ein Buchstabe zugeordnet - manchen an positiven Stellen, und manchen an negativen. Manchen, die gar keinen Bezug zu Tora und Geboten haben, ist gar kein Buchstabe zugeordnet, sondern lediglich eine der - in Breite von Buchstaben bemessenen - Leerstellen.
In diesem Lichte sagt uns der Pasuk, dass die Tora nicht leer ist - allenfalls ist sie "von uns leer", das heißt, unser Platz ist vielleicht eine Leerstelle, aber die Tora selber ist nicht leer.
Unsere Aufgabe in diesen Tagen zwischen Jom Kippur und Hoschana Raba, den Tagen des Erbarmens, ist es, uns durch die vielen Mizwot mit der Tora zu verbinden, um den uns zugeordneten Buchstaben an einer positiven Stelle zugeordnet zu bekommen, damit sich unsere Tage verlängern.
Schon während der Slichot haben wir den Aron Hakodesch während mancher Stellen im Gebet geöffnet. Zu Rosch Haschana und Jom Kippur wurde er dann noch öfter geöffnet und zu Sukkot haben wir sogar ein Sefer Tora aus dem Aron Hakodesch genommen und haben uns rund um das Sefer Tora bewegt. Der Zanser Rebbe legte sogar im Konzentrationslager zu Sukkot eine Seite aus einem Siddur, die verfügbar war, legte sie auf einen Sessel und drehte seine Runden um diesen. Doch zu Simchat Tora geschieht dann etwas wirklich verwunderliches: Alle Sifrej Tora werden aus dem Kasten entfernt und man umrundet mit ihnen - die leere Bima, also eigentlich ein Möbelstück.
Der "Alte von Slabodka" erklärt das anhand einer Gemara, die sich darüber beschwert, dass die Juden in Babylon zwar für ein Sefer Tora aufstehen, nicht aber für Talmidej Chachamim. Sie übersehen dabei, dass letztere noch viel mehr geehrt werden müssen, als die Torarollen, denn sie stellen gewissermaßen "lebende Torarollen" dar. Und so symbolisiert auch sie Bima diejenigen, die die Tora lesen und lernen, denn sie ist der Ort, an dem die Tora gelesen und gelernt wird. Da wir uns zu Simchat Tora mit denen freuen, die die Tora lernen, passt es gut, dass wir um die Bima, auf der die Tora gelernt wird, tanzen. In der Jeschiwa von Slabodka wurde auch ein leerer Buchständer auf die Bima gestellt, der zum Lernen benutzt worden war und so die Toralerner symbolisierte.
In der Tefilat Hageschem, die wir zu Schmini Azeret gesagt haben, wird unter anderem der Verdienst von Mosche erwähnt. Hierbei ist gemeint, dass er auf den Stein schlug, woraufhin Wasser austrat. Während G'tt Mosche für das Zertrümmern ausdrücklich lobte, wurde er für das Schlagen bestraft: Er durfte das Land Israel nie betreten.
Raschi beschreibt anhand eines Gleichnisses, weshalb G'tt Mosche für das Zerstören der Tafeln lobte: Eine Braut wird aufgrund übler Gerüchte verdächtigt, ihrem Mann untreu gewesen zu sein. Um sie vor einer drohenden Todesstrafe zu bewahren, zerreist ein Diener die Ketuba als Nachweis der bestehenden Ehe. Ohne diese kann sie nicht mehr hingerichtet werden. So verhielt es sich auch mit G'tt und dem jüdischen Volk, die mit einem Brautpaar verglichen werden, wobei die Tafeln für eine Ketuba stehen. Mosche zerbrach die Tafeln, damit es kein Zeugnis mehr für den Bund des Volks mit G'tt gibt, das soeben durch seine Sünde des Götzendienstes eigentlich die Todesstrafe erhalten sollte. Aus diesem Grund ist diese Tat Mosches, der damit das Volk bewahrte, wichtiger als alle seine zahlreichen anderen Taten für das Volk, und deshalb wird ausgerechnet auf diese Tat am Ende des letzten Buches der Tora hingewiesen.
Beim Felsen verhielt es sich ähnlich: Hätte Mosche zum Stein gesprochen und dieser auf ihn gehört, hätte dies einen großen Vorwurf gegenüber dem Volk bedeutet. Während der Stein tut, was man ihm sagt, sündigen die Menschen. Diesen Vorwurf wollte Mosche vermeiden und riskierte dafür seine Möglichkeit, das Land Israel jemals zu betreten.
Doch woher kannte Mosche diesen Gedanken? In der Parascha dieser Woche befiehlt G'tt, dass Bäume wachsen sollen, die genauso schmecken sollen, wie ihre Früchte. Doch, wie wir auch aus eigener Erfahrung wissen, handelte der dafür zuständige Engel nicht danach und nur die Früchte haben einen guten Geschmack, der Baum selber nicht. Raw Wallach erklärt im Namen von Raw Dessler, dass die Menschen nicht dankbar genug für diese Bäume mit Fruchtgeschmack gewesen wären. Undankbar zu sein ist allerdings nicht einfach eine Sünde, sondern senkt den Status eines Menschen unter den eines Tieres. Der Engel wollte vermeiden, dass es zu so eklatanter Undankbarkeit kommt, weshalb er auf seine Verantwortung vom Befehl abwich. Mosche lernte, dass auch er so handeln sollte, um einen bösen Vorwurf vom Volk abzuwenden.
Auch wir sollten uns nach dem Monat Elul, den Feiertagen des Tischrej bis zu Simchat Tora, bewusst sein, dass wir G'tt gegenüber dankbar sein müssen, was wir am besten zeigen, in dem wir seine Gebote einhalten.
In der Parascha dieser Woche zitiert Raschi den bekannten Midrasch, in dem G'tt verschiedene Völker fragt, ob sie die Tora empfangen wollen. Alle Völker wollten zuerst wissen, was in der Tora steht, bevor sie überlegten, ob sie sie akzeptieren wollen. Den Nachfahren von Esaw antwortete G'tt, dass man nicht töten darf. Diese wollten daraufhin die Tora nicht akzeptieren. Interessant ist, weshalb G'tt hier nicht, etwas grundlegender, das erste Gebot, das G'ttesbekenntnis nannte, oder eines der vielen Gebote, die nicht als "Sieben Mizwot von Noachs Nachfahren" ohnehin für alle Völker gelten, wie Schabbat, Kaschrut, etc.
Zu Simchat Tora wird die letzte Parascha der Tora, "Wesot Habracha" gelesen. In dieser segnet Mosche das jüdische Volk. Unter anderem sagt er: "Die Tora, die uns Mosche befohlen hat ist ein Erbstück der Gemeinde Ja'akows." Wie kann Mosche diesen Satz sagen, in dem er über sich selbst spricht?
Eigentlich hat das Volk diesen Satz gesagt. Er enthält die Botschaft des "Na'asse weNischma", "wir werden machen und wir werden hören", also der Akzeptanz der Tora und aller ihrer Mizwot durch das jüdische Volk, bevor ihr genauer Inhalt bekannt war. G'tt befahl uns die Tora, und nun ist sie ein Erbstück, dass wir an nachfolgende Generationen weitergeben müssen. Mosche hat diesen Satz in seinem letzten Segen vor seinem Tod zitiert.
Deshalb entschied der Rambam (Maimonides) auch, dass der erste Passuk, den ein Kind, das zu sprechen beginnt, sagen soll, noch vor "Schma Israel", dieser Passuk aus unserer Parascha sein soll. Es ist einleuchtend, weshalb das Kind "Schma Israel" sagen soll, den das ist der fundamentale Ausdruck unseres Glaubens. Aber durch den oben zitierten Passuk werden wir erst zu G'ttes auserwähltem Volk.
Zu Simchat Tora freuen wir uns mit der Tora, und wir freuen uns vor allem darüber, dass unsere Vorfahren die Tora auf sich, und damit auf uns genommen haben. Sie ist das Buch der Mizwot, aber auch das Buch der Moral. Die Moralvorstellungen der ganzen Welt sind durch die Tora geprägt. Seien es Krankenbesuche, die Mizwa, Teile der Ernte für Arme und Bedürftige liegen zu lassen, die Verpflichtung, Fremde zu lieben - alles hat in der Tora eine Basis. Wir freuen uns, dass wir die Tora von Mosche bekommen haben, und unsere Aufgabe ist es, sie als Erbstück unseres Volkes an unsere Nachkommen weiterzugeben.