Im Gebet Unetane Tokef, das wir zu Rosch Haschana und Jom Kippur zu Mussaf sagen, erwähnen wir, dass festgehalten wird, "wer leben wird, und wer sterben wird", sowie weitere Gegensatzpaare wie "reich und arm." Doch diese Feststellung ist redundant: Wer nicht sterben wird, wird leben. Wenn es keine Änderung gibt, bleibt der aktuelle Zustand erhalten.
Der Bal Schem Tow traf einst einen Wasserträger und fragte ihn nach seinem Wohlbefinden. Dieser klagte über Schmerzen und seine schlechte Situation. Einige Tage später antwortete der selbe Wasserträger auf die gleiche Frage, dass er zwar schwer arbeite, aber froh sei, ein Einkommen zu haben und seine Familie zu ernähren, wofür er G'tt sehr dankbar ist. Der Bal Schem Tow verstand nun die Bedeutung der scheinbar redudanten Formulierung "wer leben und wer sterben wird." Es geht nicht nur darum, ob man schon verstorben ist, sondern auch, ob man ein Leben zu leben hat, also wie man lebt. Jemand kann am leben sein, aber nichts davon mitbekommen. Auch das wird zu Rosch Haschana und Jom Kippur entschieden.
In der Parascha, die zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur gelesen wird, erwähnt Mosche, dass er am Tag seines Todes 120 Jahre alt ist. Doch weshalb ist dies relevant? Auch Raschis Erklärung, dass nun seine Tage und Jahre vollendet sind, ist kryptisch.
Die Gemara in Masechet Chagiga diskutiert, was mit den Jahren von Menschen passiert, die wegen ihrer Sünden früher verstorben sind, als es ihnen vorbestimmt war. Da diese nicht "dem Himmel zurückgegeben" werden können, kommen diese Menschen zugute, die ihnen geschehen Unbill ignorieren.
Mosche war bekanntlich ein äußerst bescheidener Mensch, dem auch solche Jahre zugestanden wären, die andere nicht gelebt haben, zum Beispiel alle, die in der Zeit der Wüstenwanderung gestorben sind. Damit man nicht auf die Idee kommt, Mosche hätte entweder seine Aufgabe auf dieser Welt nicht erfüllt oder umgekehrt von den frühen Toden der Menschens einer Generation profitiert, betont er an seinem Todestag, dass er genau seine Tage gelebt hat: Er hat alle gelebt, aber auch keine zusätzlich erhalten.
Wenn wir zu Jom Kippur für das kommende Jahr beten, sollten wir dafür beten, alle uns vorbestimmten Jahre zu leben, aber uns auch vornehmen, uns geschehenes Unbill zu ignorieren und zu vergeben, damit wir unter Umständen sogar zusätzliche Jahre erhalten.
An seinem letzten Lebenstag offenbart Mosche dem Volk, dass er an diesem Tag 120 Jahre alt wurde. Raschi erklärt, dass er ausführte, dass er seine Tage und Jahre vollendet hat, an diesem Tag geboren wurde und an diesem Tag sterben wird. Diese Feststellung ist von Bedeutung, weil G'tt, wie die Gemara erklärt, die Tage und Jahre von Zaddikim vollendet. Das bedeutet, sie sterben am selben Tag wie sie geboren wurden. Mosche wollte damit sagen, dass er seine Aufgabe hiermit vollendet hat.
In der Gemara diskutieren Rabbi Akiva und die Chachamim darüber, ob es möglich ist, länger zu leben als es für einen vorgesehen ist. Die Chachamim meinen, dass dies möglich ist und bringen König Chiskijahu als Beispiel, der darum betete und dessen Gebete erhört wurden. Doch Rabbi Akiva sieht es anders, seiner Meinung nach erhielt Chiskijahu nur die Jahre zurück, die ihm zuvor weggenommen werden sollten.
Viele Menschen erreichen das für sie vorgesehene Alter aber gar nicht. Die Jahre, die so gewissermaßen "übrig bleiben" gehen zu Leuten über, die sich nicht in ihrer Ehre verletzt fühlen, sogar wenn sie öffentlich angegriffen werden. So zeigte Mosche des Öfteren keine Reaktion, wenn er angegriffen wurde. Er beherrschte seine Emotionen und hatte seinen Charakter auf eine Art und Weise ausgearbeitet, die sein Ego stets hintanstellte. Es wäre naheliegend zu denken, dass im die vielen Jahre derer zukamen, die in der Wüste als Folge der Sünde mit den Kundschaftern und anderer Sünden gestorben sind. Er betont daher, dass er seine Tage und Jahre, also die für ihn vorgesehenen und nicht solche, die er von anderen erhalten hat, vollendet und seine Aufgabe erfüllt hat.
Gerade in den Tagen zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur sollten wir uns auch fragen, ob wir unsere Aufgabe auf dieser Welt erfüllen, in Bezug auf uns selbst, unsere Familie und das jüdische Volk.

Die Gemara berichtet, wie die Schüler von Rabbi Elasar ben Schamua diesen fragten, womit er so ein langes Leben verdient hatte. Diese Frage wurden mehreren Weisen der Gemara gestellt. Rabbi Jochanan antwortete zum Beispiel, dass er immer der allererste im Beit Hamidrasch war. Rabbi Elasar entgegnete, dass er nie das Beit Midrasch zu einem Durchgang gemacht hatte, d.h. dass er zum Beispiel nie eine Abkürzung durch das Beit Midrasch genommen hat, um einen anderen Ort schneller zu erreichen. So wie er seine Wege verlängerte, verlängerte G'tt sein Leben. Aber im Gegensatz zum Verdienst von Rabbi Jochanan ist das ein Verbot, das jeden Juden betrifft. Weshalb brachte ihm also genau diese Mizwa den Verdienst, lange zu leben, und nicht, zum Beispiel, das Halten des Schabbat oder das koscher Essen?
Raw Eljaschiw erklärte, dass hier nicht ein physischer, sondern ein philosophischer Vorraum gemeint ist. Manche Menschen gehen zwar regelmäßig ins Beit Knesset, und benutzen es auch nicht als Durchgang, doch ihre Gedanken drehen sich hauptsächlich darum, wann sie es wieder verlassen können, damit sie möglichst schnell zu ihren Erledigungen kommen. Für sie ist das Beit Knesset also nur ein Durchgang zum weiteren Tag. Rabbi Elasar dagegen wollte in erster Linie im Beit Midrasch bleiben. Wenn er weg musste, tat er es, aber ungern, und nur um wieder zurück zu kommen. Das meint auch Mosche, wenn er am Anfang der Parascha dieser Woche sagt, dass er heute 120 Jahre alt wird und nicht mehr länger gehen oder kommen kann. Denn wie Raschi erklärt, verlor er an diesem Tag seine Fähigkeit, Tora zu lehren und zu lernen. Das war es aber, was er im Leben wollte, weshalb er dann gar kein Bedürfnis mehr hatte, weiter zu leben.
Wenn wir zu Jom Kippur im Beit Knesset stehen, müssen wir versuchen, nicht nur daran zu denken, wie hungrig wir sind und wann wir endlich essen können, sondern wie wir das Beit Knesset zu einem fixen Bestandteil unseres Lebens machen können. Gmar chatima towa!

In der Parascha dieser Woche steht: "Und G'tt wird dich heimbringen zu dem Land, das deine Vorfahren einst in Besitz genommen haben, und wird dich beglücken und vermehren". Der Satz wird mit "me'Awotecha" beendet. Diese Formulierung lässt zwei Interpretationen zu.
Auf den ersten Blick würde man dieses Wort in diesem Kontext wohl mit "mehr als deine Vorfahren" übersetzen. Es wäre also ein Versprechen, dass G'tt uns noch mehr als unsere Vorfahren vermehren wird.
Doch das Wort "me'Awotecha" kann auch in der Bedeutung "von deinen Vorfahren" verstanden werden:  In diesem Fall sagt uns die Tora an dieser Stelle, dass es uns wegen unserer Vorfahren besser gehen wird und wir uns vermehren werden. Im Verdienst unserer Vorfahren, die Mizwot gehalten haben, können wir heute Belohnungen erhalten.

Wir stehen kurz vor Rosch Haschana und Jom Kippur, und werden dort für unsere Zukunft beten. Meistens haben wir alleine nicht genug Verdienste für ein gutes Urteil. Deshalb müssen wir auch im Namen unserer Vorfahren beten, damit wir auch in ihrem Verdienst für ein gutes Jahr eingeschrieben und besiegelt werden!


Die Parascha dieser Woche beginnt mit den Worten: "Darauf ging Mosche und sprach diese Worte zu ganz Israel. Er sagte ihnen: 'Hundertundzwanzig Jahre bin ich heute alt, ich werde ferner nicht ausgehen und eingehen können, und G'tt hat mir auch gesagt: Du sollst diesen Jordan nicht überschreiten.'"
Danach folgt Mosches letzter Wille, den er an seinem Todestag, dem 7. Adar, dem Volk mitteilte.

Eine ähnliche Stelle gibt es am Anfang des Buches der Könige: "Da die Tage Davids herangenaht waren zum Sterben, befahl er seinem Sohn Schlomo also: 'Ich gehe nun den Weg alles Irdischen, du aber sei stark und werde ein Mann! Und hüte, was G'tt dein G'tt dir zur Obhut gegeben, dadurch, dass du in Seinen wegen gehst [...]'"
Hier spricht David an seinem Todestag seinen letzten Willen aus. Auf den ersten Blick ist nicht verständlich, weshalb "Ich gehe nun den Weg alles Irdischen" ein Befehl sein soll.

Der Maggid von Kelem erklärt, dass es sich trotzdem um einen Befehl handelt. König David sagt seinem Sohn Schlomo, dass er wie alles Irdische sterben wird, und genauso wird Schlomo selbst eines Tages sterben. David befiehlt ihm, dass er mit diesem Wissen leben soll, und auch seine Taten danach ausrichten soll.

Auch Mosches letzter Wille, der in Paraschat Wajelech beschrieben wird, die meistens am Schabbat vor Jom Kippurgelesen wird, ist so zu verstehen: Mosche möchte uns an seinem Todestag mitgeben, dass wir alle sterblich sind, und dass wir uns dieser Tatsache immer bewusst sein sollen, damit wir unsere Taten danach ausrichten. Besonders in dieser wichtigen Zeit von Rosch Haschana bis Jom Kippur, den "10 Tagen der Buße", sollten wir uns diese Botschaft unseres großen Lehrers Mosche zu Herzen nehmen.

Leschana Tova nikatev wenechatem!