In der Parascha dieser Woche wird das Begräbnis von Rachel erwähnt. Sie wurde am Weg von Charan nach Israel am Weg begraben. Wie Ja'akov später Josef erklären wird, geschah dies, damit Rachel für das Volk beten kann, wenn es aus Israel nach Babylon vertrieben wird.
Als Ja'akov Rachel heiraten sollte, täuschte deren Vater Lawan ihn und die Ehe kam in Wirklichkeit mit Rachels älterer Schwester Leah zustande, die Ja'akov unter dem Schleier nicht erkannte. Ja'akov und Rachel hatten eine solche Täuschung vorrausgesehen und geheime Zeichen verabredet, damit Ja'akov sichergehen kann, die richtige Frau zu heiraten. Doch Rachel gab diese Zeichen schlussendlich ihrer Schwester Leah weiter, da diese sonst öffentlich verschämt worden wäre, wenn die Täuschung offensichtlich geworden wäre. Auf etwas zugunsten eines anderen zu verzichten ist eine sehr große Tat, in deren Verdienst Rachel Kinder bekam und auch später für das Volk beten konnte. Doch weshalb kam der Lohn für diesen Verzicht so viel später und nicht gleich nach der Hochzeit?
Es kann passieren, dass man eine gute Tat später bereut. Wenn man zugunsten eines anderen verzichtet, kann man später dazu kommen, es zu bereuen, wenn man sieht, welchen Schaden man dadurch erlitten hat, obwohl man langfristig natürlich nie daran verlieren wird, zugunsten eines anderen zu verzichten.
Als später Leahs Sohn Re'uwen Pflanzen pflückte, die Rachel gerne gehabt hätte, war Leah erst einverstanden, ihr diese zu geben, wenn Rachel auf eine Nacht mit Ja'akov zu Leahs Gunsten verzichten würde. Hier hätte Rachel beginnen können, ihren früheren Verzicht zugunsten von Leah zu bereuen, denn ohne Rachel hätte Leah Ja'akov gar nicht heiraten können und eventuell hätte Rachel schon Kinder. Ihr bereits sehr großer Verdienst wurde so noch größer und in diesem großen Verdienst bekam sie endlich Kinder und konnte später auch für das Volk besser beten als alle anderen unserer Stammeltern.


Auf dem Weg ins Land Israel schickt Ja'akov Boten zu seinem Bruder Esaw, vor dem er zwanzig Jahre zuvor geflohen ist, um nicht getötet zu werden. Diese sollten Esaw beschwichtigen, damit dieser von seinem Plan, Ja'akov zu töten, abweicht. Augenscheinlich erwartete er Esaw auf seinem Weg, irgendwo an der Grenze des Landes. Doch wenn man genau liest, stellt man fest, dass Esaw gar nicht in Israel, sondern in Edom beim Berg Se'ir wohnte. Ja'akov schickte also Boten zu seinem Bruder, obwohl er diesem gar nicht begegnet wäre. Der Midrasch fragt dazu: "Weshalb weckte er schlafende Hunde?" Es wäre, so der Midrasch, besser gewesen, unauffällig ins Land zu kommen. Später, wenn Esaw dies bemerken würde, hätte er sich schon ein wenig beruhigt, und Ja'akov hätte sich dann mit dem Problem beschäftigen können.
Der Alschich erklärt, dass Esaw den Berg, bei dem er wohnte, Se'ir nannte, was vom hebräischen Wort für "Haare" kommt. Dies erinnerte Esaw stets daran, dass Ja'akov den Vater Jizchak mit einem haarigen Gewand täuschen und Esaw so um den Segen bringen konnte. Die Gegend nannte er "Edom", was vom Wort für "rot" kommt und Esaw an das rote Gericht erinnerte, für welches er sein Erstgeburtsrecht Ja'akov abtreten musste. So wie Eltern ihre Kinder nach verstorbenen Verwandten nennen, um sich an diese zu erinnern, so benannte Esaw diese Gegenden, um sich immer an Ja'akovs Taten zu erinnern. Es gab deshalb keinen Grund anzunehmen, dass Esaw sich beruhigt habe, im Gegenteil: Sein Zorn stieg immer weiter an. Deshalb entschied sich Ja'akov dazu, ihm gleich zu begegnen.


Jaakov schickt seinem Bruder Esaw Geschenke, um ihn zu besänftigen. Jaakov befürchtet, dass Esaw ihm wegen des Segens, den Jaakov statt ihm erhalten hatte, immer noch böse gesinnt ist. Ein Midrasch deutet Kritik an diesem Verhalten Jaakovs an, denn Esaw lebt in Se'ir, was nicht am Weg liegt, denn Jaakov unterwegs zu seinen Eltern in Be'er Sheva gehen würde. Der Midrasch bemerkt, dass man schlafende Hunde nicht wecken soll, und die Geschenke daher nur eine Gefahr heraufbeschwört haben, die es sonst wahrscheinlich nicht gegeben hätte.
Wie auch bei Eheproblemen und Streitereien, ist es nicht unsere Aufgabe, zu entscheiden, wer recht hat beziehungsweise ob Jaakov sich richtig verhalten hat. Wir wollen aber verstehen, weshalb Ja'akov so gehandelt hat, wie er es tat.

Wie das Wasser Gesicht zu Gesicht [zeigt], so [ist] das Herz des Menschen für den Menschen.

Die Gemara erklärt diesen Pasuk aus Mischlej: So wie ein Spiegel das zeigt, was ihm gegenübergestellt wird, so fühlt ein Mensch dem anderen gegenüber so, wie dieser ihm gegenüber fühlt. Schätzt man seinen Mitmenschen, schätzt dieser einen. Respektiert und liebt man seinen Partner, wird dieser es mittelfristig auch umgekehrt tun. Wenn einem eine andere Person egal ist, wird diese früher oder später auch kein Interesse an einem haben. Das funktioniert nicht nur im direkten zwischenmenschlichen Kontakt - wenn man an jemanden auf der anderen Seite der Welt oft denkt, wird dieser auch an einen denken.
Rifka benutzte diese Eigenschaft des menschlichen Herzen, als sie Jaakov den Rat gab, nach Charan zu fliehen: Jaakov ist jetzt sehr verärgert über seinen Bruder Esaw, wegen dem er seine Heimat, seine Eltern und seine Umgebung verlassen muss, um in einem Haus voller Götzendienst bei einem Betrüger zu leben. Genauso hasst Esaw auch ihn, weil er ihm vorwirft, ihm den Segen des Vaters genommen zu haben. Wenn "der Zorn deines Bruders von dir" vergeht, wenn also der Zorn Esaws vergeht, wass du am fehlenden Zorn "von dir" merken kannst, sollst du wieder zurückkehren, denn das ist ein Zeichen, dass auch Esaw keinen Groll mehr hegt.
Doch als Jaakov schließlich zurückkehrte, war er noch wütend auf seinen Bruder, weshalb er annehmen musste, das dies umgekehrt noch genauso ist. Aus diesem Grund war es aus seiner Perspektive sehr naheliegend, Esaw vorsorglich zu besänftigen. 


Bevor er den Schutzengel Esaws, der ihn in der Nacht überfiel, gehen ließ, verlangte Ja'akov von diesem, dass er ihm seinen Namen verrate. Doch der Engel weigerte sich und fragte Ja'akov, warum er danach frage. Und tatsächlich stellt sich die Frage, weshalb er den Namen wissen wollte.
Dazu müssen wir wissen, dass der Namen eines Menschen oder Engels sein Wesen und seine Aufgabe andeutet. Daher ist es auch eine heilige Pflicht von Eltern, ihrem Kind einen Namen zu geben und dabei zu versuchen, den Namen zu wählen, den G'tt bereits der Seele des Kindes gegeben hat. Eltern erhalten deshalb eine "kleine Prophezeihung." Man richtet sich dabei nach Namen von Vorfahren, Rabbinern, Zaddikim oder aus Namen der aktuellen Parascha. Immer wieder kommt es vor, dass sich Eltern kurz vor der Namensgebung noch einmal anders entscheiden. Daran erkennt man, dass sie hier eine g'ttliche Eingebung in Form einer kleinen Prophezeihung erhalten. Nimmt man allerdings diverse erfundene Namen, erhält das Kind sicher nicht den g'ttlichen Namen der Seele, die dann mit einem Namen leben muss, der nicht zu ihr passt.
Als Ja'akov also nach dem Namen des Engels fragte, woller er eigentlich verstehen, was dessen Wesen und seine Aufgabe ist. Doch der Engel konnte nicht antworten, da er als Schutzengel Esaws nur für Destruktives und für Zerstörung steht und keine eigentliche Aufgabe hat, in der sich ein Name manifestieren könnte. Der Engel Esaws hatte zwar selber keinen Namen, da er kein konstruktives Wesen hatte, aber er gab Ja'akov seinen neuen Namen "Israel", da dieser dessen Wesen ausdrückte.


Ja'akov kehrte nach einer Flussquerung noch einmal alleine in der Nacht zurück, um einige kleine Gefäße zu holen, die er zunächst vergessen hatte und begab sich damit in Gefahr, da er von einem Engel angegriffen wurde. Die Gemara lernt aus dieser Episode, dass Zadikim ihrem Vermögen zugeneigter sind als ihrem Leben.
Doch weshalb ist es eine Eigenschaft von Zadikim, sich überhaupt für Vermögen zu interessieren? Die Antwort liegt in der Tatsache, dass das Vermögen von G'tt gegeben wird. Es wäre eine Missachtung des g'ttlichen Geschenks, sich nicht für dessen Erhalt einzusetzen, weshalb Zadikim so besonderen Wert auf ihr Vermögen legen.


In der Parascha dieser Woche lässt Ja'akow Esaw ausrichten, dass er "Stier und Esel" erworben hat. Raschi erklärt, dass damit Stiere und Esel gemeint sind. Es ist üblich, die Einzahl zu verwenden, wenn man die Mehrzahl meint. Im Übrigen lässt sich auch auf Deutsch die Verwendung der Einzahl so erklären.

Der Midrasch Tanchuma und der Ba'al Haturim erklären die Verwendung von Stier und Esel in der Einzahl anders: In Paraschat Wajechi wird Issachar von Ja'akow als "Esel" bezeichnet. Raschi erklärt, dass er das Joch der Tora wie ein ausdauernder Esel trägt, dem eine schwere Last aufgeladen wird. In Paraschat Wesot Habracha wird Josef mit einem Stier verglichen. Nur Nachfahren von Rachel können Esaw und seine Nachkommen besiegen, weshalb auch König David bei Kämpfen gegen Amalek immer darauf achtete, Angehörige der Stämme Efraim, Menasche oder Binjamin mitzunehmen. Sein Nachfahre Chiskijahu widerum verteidigte sich nicht militärisch gegen die Invasion Sancheriws mit dessen Armee von mehreren hundertausend Mann, sondern verließ sich auf die Kraft der Tora, die selten so intensiv gelernt wurde wie in seinen Zeiten.

Ja'akow will nach dieser Erklärung Esaw, der als Nachfahre Awrahams und Jizchaks durchaus gebildet war und die Anspielung verstand, also wissen lassen: "Falls es zu einem Kampf kommt, bin ich gerüstet, denn ich habe mit Issachar die Kraft der Tora, und mit Josef einen Sohn Rachels, gegen die vereint du nichts ausrichten kannst." 


In der Parascha dieser Woche lässt Jaakov Esaw ausrichten, welche Reichtümern er erworben hat. Er zählt dabei neben Geld und Knechten auch einige Besitztümer auf, zum Beispiel Esel und Ochsen. Später, als er sein Lager aufteilt, um zumindest einen Teil seiner Familie zu retten, werden auch Kamele erwähnt, die auf die beiden Teillager verteilt werden. Der Meschech Chochma war einer der ersten, der die Frage stellte, weshalb Jaakov die Kamele bei seinem Bericht unterwähnt ließ.

Anders als der Ochse, der beide Koscherzeichen besitzt, und anders als der Esel, der keines aufweisen kann, erscheint das Kamel zwispältig: Einerseits ist es Wiederkäuer, andererseits ist es kein Paarhufer. Nach einer Erklärung ließ Jaakov die Kamele ganz bewusst unerwähnt: Er wollte Esaw damit vermitteln, dass er sich ganz genau an die Gebote hält. Bei ihm sind erlaubte Dinge erlaubt, und verbotene sind auch wirklich verboten. Dafür stehen Ochs und Esel mit ihren eindeutigen Zeichen. Er lebt dagegen nicht den Weg der Kompromisse, den Weg des sich selbst Belügens, für den das Kamel steht. Man kann versucht sein, sich seine Sünden wegzuargumentieren, wenn man sich einbildet, man würde es ja teilweise richtig machen, so wie das Kamel ja teilweise die Koscherzeichen aufweist. Jaakov war es wichtig, diese Botschaft an Esaw zu übermitteln, den sein eigener Segen hing davon ab, dass er sich an G'ttes Gebot hält. Solange das der Fall war, konnte Esaw ihm nichts anhaben.

Es ist für den Menschen wichtig, eine eindeutige Richtung zu haben. Auch wenn man sündigt, ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein und sich nicht selbst einzureden, dass das Verhalten eigentlich richtig ist, sowie das Kamel nicht eigentlich koscher ist, obwohl es ein Koscherzeichen aufweist.


Vor der Begegnung Jaakovs mit Esaw steht, dass Jaakov "sich fürchtete und dass es ihn plagte". Raschi erklärt, dass er sich fürchtete getötet zu werden, und dass es ihn plagte, dass er vielleicht andere wird töten müssen.

Doch weshalb hatte er eigentlich Angst? Ihm wurde von G'tt ja bereits versprochen, dass er ihm beistehen und ihn beschützen wird. Jaakov aber Angst, dass er vielleicht durch seine Sünden diesen Segen G'ttes "verspielt" haben könnte. Denn einerseits hat er schon seit einiger Zeit weit entfernt von seinen Eltern gewohnt und daher die Mizwa, Vater und Mutter zu ehren und sie zu fürchten, anders als sein Bruder Esaw, nicht erfüllt, und andererseits hat er zwei Schwestern geheiratet, was später nach der Toragabe verboten sein sollte. Er war außerdem schon sehr lange nicht mehr in Israel. Allerdings beschäftigte ihn das weniger, da er zum Toralernen und zum Heiraten weggegangen ist, was legitime Gründe sein können, nicht in Israel zu leben.

Der Maharil Zunz findet auch eine Andeutung für die beiden vermeintlichen Sünden Jaakovs: Jaakov fürchtete sich, eine Andeutung auf das Gebot, die Eltern zu fürchten, und etwas plagte ihn, wie beim Verbot, zwei Schwestern zu heiraten steht, dass diese sonst einander plagen könnten. In Jaakovs Verhalten sehen wir auch die Bestrebung diesen Makel so gut es geht zu entschärfen, in dem er zum Beispiel seine Familie in zwei Gruppen aufteilt, eine geführt von Leah und die andere von ihrer Schwester Rachel.

Tatsächlich hat Jaakov nicht gesündigt, denn er war aufgrund eines Wunsches seiner Eltern nicht bei ihnen, und es sprechen auch mehrere halachische Erwägungen dafür, dass Jaakov zwei Schwestern heiraten durfte. Deshalb stand G'tt Jaakov auch bei, und dieser überstand die Begegnung mit Esaw gut.

Zaddikim fürchten sich nicht davor, dass man sie tötet, sondern in erster Linie davor, Sünden zu machen. Aus diesem Grund machten die erwähnten Verhaltensweisen Jaakov sehr zu schaffen.


Und er befahl ihnen zu sagen, so sagt zu Esaw: (...).

Am Beginn der dieswöchigen Parascha sendet Ja'akow Boten aus, die seinem Bruder Esaw etwas ausrichten sollen. Doch weshalb wiederholt die Tora das Wort "sagen"?

Viele Dinge kann man in jeder Sprache, die man versteht, sagen. So kann jemand, der kein Iwrit versteht, in seiner Muttersprache die Tefilot sagen oder auch das Birkat Hamason. Es ist natürlich besser, die Gebete auf Iwrit zu sprechen, da viele Bedeutungen in der Übersetzung verloren gehen, aber die Möglichkeit, die Gebete in einer anderen Sprache zu sagen, besteht.

Es gibt allerdings Ausnahmen von diesem Grundsatz: Der Priestersegen, Birkat Kohanim, zum Beispiel muss von den Kohanim im Original gesprochen werden, selbst wenn sie kein Wort verstehen. Die Gemara begründet diese Halacha mit dem Umstand, dass extra angeordnet wird: "So sollt ihr segnen", so und nicht in einer anderen Sprache oder in einem anderen Wortlaut.

Das gleiche finden wir bei Ja'akows Befehl an seine Gesandten: Auch hier wird der Befehl zu sprechen mit dem Wort "so" wiederholt: So sollt ihr zu Esaw sprechen, und nicht anders. Doch weshalb ist es Ja'akow so wichtig gewesen, dass die Boten den genauen Wortlaut ausrichten?

Die Botschaft, die sie ausrichten sollten, beginnt mit den Worten "Ich hielt mich bei Lawan auf." Das hebräische Wort für den Ausdruck "ich hielt mich auf" ("garti") hat den Zahlenwert 613. Das steht für die 613 Mizwot. Ja'akow wollte Esaw damit andeuten, dass er sich zwar bei Lawan aufgehalten, die 613 Mizwot aber trotzdem eingehalten hatte. Doch weshalb sollte es Esaw interessieren, ob Ja'akow die Mizwot einhielt oder nicht?

Dazu muss man sich die Segen, die Ja'akow und Esaw von ihrem Vater Jizchak erhalten hatten, genauer ansehen: Esaws Segen, dass er mit dem Schwert leben soll, hat nur Gültigkeit, wenn Ja'akow und seine Nachfahren sich nicht an die Mizwot halten. Ja'akow war es daher wichtig, Esaw wissen zu lassen, dass er alle Mizwot eingehalten hat und Esaw ihm daher nichts tun konnte. Diese wichtige Nachricht wäre aber in einer Übersetzung verloren gegangen, weshalb Ja'akow ausdrücklich anordnete, wie die Gesandten die Nachricht übermitteln sollen.


Als Ja'akow schließlich seinem Bruder Esaw in Frieden entgegentreten konnte, stellt er ihm seine Familie vor. Dabei tritt immer eine der vier Mütter mit ihren Kindern vor und sie verbeugen sich. Bei Leah und Rachel steht, dass sie und ihre Söhne sich verbeugten, und zwar in der männlichen Pluralform, die auch für Gruppen aus Frauen und Männern benutzt wird. Bei den Mägden steht aber, wenn man sich die Worte genau anschaut, dass nur die Mägde selbst sich verbeugten - es wird nämlich die weibliche Singularform benutzt. Verständlicherweise beschäftigten sich schon die Rischonim mit der Frage, wieso die Söhne der Mägde sich nicht verbeugten.

Es gibt einen Midrasch der sagt, dass wirklicher Stolz nur bei niedrigen Leuten vorkommt. Jemand, der einen anerkannten Platz in der Gesellschaft hat und sich seiner Bedeutung bewusst ist, hat normalerweise kein Problem damit, zurückzustecken, sich zu entschuldigen. Jemand, der in der Gesellschaft nicht anerkannt ist und sich seiner Bedeutung nicht bewusst ist, kann sich das nicht erlauben. Er muss immer seine Bedeutung betonen und ist damit stolz.

Dieser Midrasch erklärt uns auch, wieso die Söhne der Mägde sich nicht verbeugten. Sie waren aufgrund ihrer weniger noblen Herkunft geringer geschätzt, was sich auch an mehreren Stellen in der Tora zeigt. Sie mussten daher stolzer sein als ihre Brüder und konnten sich nicht vor ihrem Onkel verbeugen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht nur einen negativen Stolz gibt. Natürlich ist es negativ, wenn jemand wert darauf legt, dass er besser als jemand anderer ist, und viel mehr erreichen kann als dieser. Umgekehrt wäre es aber nicht richtig, sich mit dem Argument, man selbst sei sowieso unfähig und könne nie alle Gebote einhalten, vom Tora halten zu befreien. Vielmehr soll man in diesem privaten Bereich stolz sein und sich sagen, dass man alles erreichen kann und alle Gebote halten kann.


In der Parascha dieser Woche wird Dina, Ja'akows und Leahs Tochter, von Sch'chem, dem Sohn von Nachor, entführt und vergewaltigt. Dieser will sie dann heiraten, und will dafür Ja'akows Zustimmung. Doch dieser entgegnet, dass er nur zustimmen könne, wenn Chamor, Sch'chem und alle anderen Bewohner der Stadt Brit Mila machen. In der Folge waren die Männer der Stadt so geschwächt von der Brit Mila, dass Schimon und Lewi schließlich alle umbringen und ihre Schwester Dina befreien konnten.

Doch weshalb haben die Bewohner Schchems überhaupt zugestimmt, sich beschneiden zu lassen, nur damit der Sohn ihres Anführers eine Frau heiraten kann?

Man muss dazu wissen, dass Esaw und die Feinde der Juden zwei Möglichkeiten haben, um gegen uns vorzugehen: Entweder sie bekämpfen uns mit Hass, wie es in der Schoa, aber auch bei Haman und in anderen Phasen der jüdischen Geschichte vorkam. Die zweite Möglichkeit ist, dass sie uns mit "Liebe" bekämpfen, indem sie uns zur Assimilation bringen, wodurch das jüdische Volk langsam ausstirbt.

Deshalb betete Ja'akow auch zu G'tt, dass er ihn "aus der Hand seines Bruders, aus der Hand Esaws" retten soll. Es drängt sich die Frage auf, weshalb nicht nur "Esaw" oder "mein Bruder" steht, sondern beides. Ja'akow wollte damit ausdrücken, dass er einerseits vor Assimilation durch zu starken brüderlichen Kontakt, und andererseits vor der Gefahr des bösen Charakters Esaws geschützt werden soll.

Sch'chem war vom Volk der Chiwim, dem auch Esaws Frau angehörte. Ihre Familie und damit das Volk war von Esaws Wunsch, das jüdische Volk zu vernichten angesteckt, und sahen so die Möglichkeit, das Volk durch die Heirat von Schchem und Dina zu assimilieren und so letztlich auszulöschen.

Wir sollten deshalb, wie bereits Ja'akow, dafür beten, dass wir sowohl vom Hass unserer Feinde, aber auch vor zu starker Liebe und der daraus folgenden Assimilation geschützt werden.


In der Parascha dieser Woche kämpft Ja'akow mit Esaws Schutzengel, der es schafft, ihn am Oberschenkel zu verletzen. Diese Verletzung am Oberschenkel steht symbolisch für die Nachfahren Ja'akows, die in den Wegen ihres Vorfahren gehen, denn der Engel konnte Ja'akow selber nichts anhaben, da dieser ein so großer Zaddik war. Seine Nachfahren kommen aber manchmal vom Weg ab, und dort hat Esaw eine Möglichkeit, etwas gegen Ja'akow auszurichten. Daraus entstand die ewige Feindschaft zwischen den Nachfahren Esaws (Amalek) und Ja'akows (den Juden).

Nach dem Kampf will Ja'akow den Namen des Engel wissen. Engel haben keine fixen Namen, ihr temporärer Name richtet sich nach ihrer aktuellen Aufgabe. In diesem Fall drückt sich Esaws Engel aber vor einer Antwort. Denn in Wahrheit hatte er keine konstruktive Aufgabe zu erfüllen. Seine Mission bestand lediglich im Zerstören. Da er keine Aufgabe hatte, hatte er ausnahmsweise auch keinen Namen.


Als sich Ja'akow auf den Weg zurück zu seinen Eltern machte, war er besorgt, dass sein Bruder Esaw ihm immer noch nach dem Leben trachten könnte. Daher schickte er Geschenke voraus, betete, und bereitete sich auf einen Kampf vor. Die letzten beiden Maßnahmen sind verständlich, und jeder würde sie wahrscheinlich in dieser Situation setzen. Es war aber auch wichtig, dass Ja'akow Geschenke schickte, denn wenn man von jemanden etwas erhält, ist man beeinflusst, selbst wenn man sich versucht einzureden, dass man unbefangen und neutral bleibt. Das ist auch der Grund, weshalb das jüdische Recht sehr strenge Befangenheitsregeln für Richter kennt.


Die Tora berichtet uns aber nicht nur, dass Ja'akow Geschenke schickte, sondern auch die genaue Menge der einzelnen männlichen und weiblichen Tiere der verschiedenen Arten. Raschi erklärt, dass das Verhältnis der jeweiligen männlichen zu den weiblichen Tieren so ausgewählt war, dass sich die Tiere optimal vermehren konnten. Denn hätte er einfach eine große Menge an Tieren, oder andere Geschenke geschickt, wäre dieses Geschenk irgendwann aufgebraucht gewesen, und der tiefe, innere Hass Esaws wäre wieder hervorgetreten. Dadurch, dass sich Ja'akows Vieh in Esaws Besitz generationenlang fortpflanzte, wurde dieser ständig an das Geschenk seines Bruders erinnert und lies Ja'akow tatsächlich bis zu dessen Auswanderung nach Ägypten in Ruhe.

Wir können das auch für unser Leben verwenden: In einem Streit zwischen zwei Menschen verlieren meistens am Ende beide. Anstatt sich zu streiten sollte man besser dem anderen etwas geben, ihn so beruhigen, und versuchen, so schnell wie möglich wieder zu einem friedlichen Zusammenleben zu kommen.


In der Parascha dieser Woche lässt Ja'akow Esaw ausrichten, dass er "Stier und Esel" erworben hat. Raschi erklärt, dass damit Stiere und Esel gemeint sind. Es sei üblich, die Einzahl zu verwenden, wenn man die Mehrzahl meint. Im Übrigen lässt sich auch auf Deutsch die Verwendung der Einzahl so erklären.

Man kann die Verwendung von Stier und Esel in der Einzahl aber auch anders erklären: In Paraschat Wajechi wird Sewulun von Ja'akow als "Esel" bezeichnet. Raschi erklärt, dass Sewulun das Joch der Tora wie ein starker Esel trägt, dem eine schwere Last aufgeladen wird. In Paraschat Wesot Habracha wird Josef mit einem Stier verglichen, der für die (Überwindungs)kraft und damit für die Heiligkeit Josefs steht.
Ja'akow will nach dieser Erklärung Esaw also wissen lassen: "Falls es zu einem Kampf kommt, bin ich gerüstet, denn ich habe mit Sewulun das Joch der Tora, und mit Josef die Kraft der Heiligkeit, gegen die vereint niemand etwas ausrichten kann."

Raschi erklärt später in der Parascha Ja'akows Taktik: Er schickt Esaw Geschenke, um ihn Milde zu stimmen, dann betet er, und als letzte Möglichkeit lässt er sich den Kampf offen. Aber die Tora scheint dem zu widersprechen. Erstens haben wir gesehen, dass in der Meldung, Ja'akow habe "Stier und Esel erworben" bereits eine gewisse Kriegsdrohung steckt, und außerdem besteht Ja'akows erste Handlung darin, seine Gruppe in zwei Lager aufzuteilen, um sie auf einen drohenden Krieg vorzubereiten.
Tatsächlich war Ja'akows Taktik, zuerst zu besänftigen, und dann zu kämpfen. Aber trotz seiner Geschenke, und trotz seiner Gebete, hat er sich von Anfang an auf einen Kampf eingestellt. Deshalb hat er seine Familie in zwei Gruppen geteilt, und deshalb hat er seinen Bruder Esaw auch von Anfang an wissen lassen, dass er einen Kampf nicht fürchtet, denn "Stier und Esel habe ich erworben."


Um Esaw zu besänftigen, der ihn töten wollte, schickte Ja'akow ihm Vieh als Geschenk entgegen ("er schickte Herde für Herde"). Raschi erklärt die Formulierung so: Ja'akow befahl - um Esaws Gier zu befriedigen - zwischen den einzelnen Tiergruppen Abstände zu lassen, sodass Esaw jedes Mal, wenn eine Gruppe ankam, am Horizont schon die nächste sehen konnte. So wirkte das Geschenk reichhaltiger, als es war.
Dieses Geschenk stellte Esaw zufrieden. Doch was war es eigentlich, was ihn zufrieden stellte, woran er sich satt sah? Es waren die Abstände zwischen den Viehherden, die er eigentlich sah, also das buchstäbliche Nichts.
Dies ist der Unterschied zwischen Esaw und Ja'akow. Esaw interessiert das Äußere, die Verpackung, der Anschein. Aber Ja'akow schaut tiefer, er sieht auch das Innere der Dinge.